Event 2012/05

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                Der Albverein Gemmrigheim war auf Wander- und Kulturreise im Lipperland

Lemgo – na klar, DIE Stadt der Handballer, Hameln – seit Kindertagen weiß man, dass dort der Rattenfänger zu Hause war, aber schon mal dort gewesen? Außer den 0rganisatoren Ursula und Hans Wörnle wohl kaum einer aus der Gruppe, die sich auf Einladung des Schwäbischen Albvereins Gemmrigheim aufmachte, das Lipperland kennen zu lernen. Ein zweites Frühstück unterwegs mit Butterbrezeln, einem Fläschchen Wein und Kaffee gehört bei Mehrtages-Ausfahrten schon zum festen Bestandteil und hilft bestens gegen die aufsteigende Müdigkeit.

Reiseverantwortliche des Vereins Verantwortliche mit Wanderführern

Beim Aufenthalt in  Brakel, der kleinen Hansestadt, begegnete man zum ersten Mal den typischen Fachwerkhäusern dieser Gegend, die mit geschnitzten und bemalten Fächerrosetten, mit Sinnsprüchen über Torbogen und in Querbalken geschmückt sind.

Aber was heißt hier Hansestadt? Diese Städte liegen doch an Ost- und Nordsee und nicht da, wo weit und breit nur kleinere Gewässer sind.  Die reichen Kaufleute des Mittelalters waren jedoch nicht nur auf Schiffe angewiesen, sie weiteten ihre Handelsbeziehungen in einer Art Netzwerk auch auf das Binnenland aus. Wie Brakel traten auch Lemgo, Hameln, Warburg und andere Städte dem Hansebund bei. „Hanse“ kommt aus dem Althochdeutschen und bedeutet bewaffnete Schar, das heißt, die Kaufleute schlossen sich aus Sicherheitsgründen zusammen, um den Handel weniger gefährdet ausüben zu können.

Der Gang durch den historischen Stadtkern von Brakel führte vorbei an der Kirche, über den Marktplatz mit dem Rathaus, das ebenso wie der Kirchenbau romanische und gotische Bauelemente aufweist; am Marktbrunnen mit bronzenen Figuren aus der Sagenwelt hätte man gerne die Füße ins kalte Wasser getaucht, denn allmählich meinte es die Sonne besonders gut mit den Reisenden. Die kleine Kaffeepause am Bus war daher sehr willkommen, bevor die Fahrt dann weiter ging nach Lemgo, der Stadt, die durch rege Handelsbeziehungen nach Osten, den Niederlanden und England den Wohlstand der Bewohner begründete. 

Hansestadt Brakel

Sinnsprüche an Fachwerkhäusern in Brakel

Der Wall, ein grüner Gürtel, der den alten Stadtkern fast lückenlos umgibt, bot allen die Möglichkeit, nach der Hitze des Tages frische Luft zu genießen. Für Spaziergänger und vor allem für Radfahrer ist hier ein idealer Ort, für die einen zum erholen, für die anderen der sichere Weg zum Ziel. Nun hatte man sich nach dem langen Sitzen im Bus die Beine vertreten und nach kurzer Zeit waren die Reisenden im Hotel an der Ilse angekommen. Wie so üblich am ersten Reisetag, war nach dem Abendessen bald Ruhe eingekehrt und der Tag konnte in Gedanken noch einmal vorbeiziehen.

Zwei Stadtführer gaben am Morgen einen Einblick in die wechselhafte Geschichte der Stadt und ihrer Herren, die ihre Häuser vielfach im Stil der Weser-Renaissance bauen ließen. Im Weserraum wurden viele Schlösser und Bürgerhäuser im Renaissance-Stil errichtet und so wurde der Begriff „Weser-Renaissance“ geboren,  die ihre Form eher aus den Niederlanden als aus Italien bezog. Gebäude wie das Hexenbürgermeister-Haus und kunstvoll verzierte Fachwerkhäuser mit „Utluchten“ – Vorbauten mit Schmuckgiebeln und Fenstern nach drei Seiten - zogen die Blicke auf sich ebenso wie die Häuser mit gotischen Giebeln rund um den Marktplatz, im Volksmund der „steinerne Saal“ genannt. Eine Besonderheit war in der Kirche St. Marien zu bewundern, die Schwalbennestorgel, in den dunklen Tagen des dritten Reiches als Heldenorgel bezeichnet, da in ihrem Holz die Namen der gefallenen Soldaten eingraviert sind. Das Stadtbild allerdings prägt die Nicolaikirche, mit deren Bau bereits im frühen 13. Jahrhundert begonnen wurde. Auffallend sind die zwei verschiedenartigen Kirchtürme, der kirchliche Glockenturm und der Wächter- oder Uhrglockenturm.

Lemgo/Hexenbürgermeisterhaus

Alt-Lemgo 

Einkaufsmeile in Lemgo

Junkerhaus in Lemgo

Nach einem Bummeln über den Markt war man gespannt, was es mit dem Junkerhaus auf sich hat. So ein ungewöhnlicher Hausbau ist wohl noch keinem der Besucher vorgekommen. Alles, aber wirklich alles, ist aus Holz gefertigt, eine Arbeit, die nicht nur Bewunderung sondern auch oft Kopfschütteln hervorruft. Karl Junker, der Erbauer, war ein Sonderling, der ein abgeschottetes Leben geführt hat. Seine kleinen Gemälde in den Zimmern stellen glückliche Familienszenen dar, so dass man annimmt, dass der verschrobene Künstler tiefe  Sehnsucht nach Gemeinsamkeit hatte.

Ein Kaffee wäre jetzt genau das Richtige – und auf Einladung im Kastanienhaus ruhten sich die Besucher an den freundlich gedeckten Tischen bei Getränken und Kuchen aus. Aber noch  weitere Punkte standen auf der Tagesordnung: Zunächst eine kurze Besichtigung vom Renaissance-Schloss Brake und der alten Ölmühle, sowie eine Wanderung durch den Landschaftspark des Lampenfabrikanten Staff mit Blick auf Lemgo. 

Dieser Tag war vollgepackt mit so vielen Eindrücken, die nachklangen, so dass sich nach dem Abendessen die meisten bald zurückzogen.

Aus dem Wanderverein Lemgo fanden sich zwei Mitglieder bereit, am nächsten Tag mit den Gästen nach Bad Salzuflen zu wandern. Zunächst ging man gemeinsam eine Strecke, dann verabschiedeten sich die „Kurzwanderer“, um auf einem weniger anstrengenden Weg den Kurort zu erreichen. Die andere Gruppe umwanderte in großem Bogen Lemgo mit Blick auf die weite Wald- und Hügellandschaft, bis in Bergkirchen eine Pause eingelegt wurde. Wenige Häuser bilden den Ort, wie jedoch von dem Küster, gleichzeitig auch Organist, zu erfahren war, ist diese Kirche für mehrere Gemeinden in der Umgebung das einzige Gotteshaus. Nach der Reformation wehrten sich hier die Bürger standhaft, dem lutherischen Glauben abzusagen und erhielten schließlich die Erlaubnis des Landesherrn, welcher der reformierten Kirche angehörte, den Gottesdienst nach ihrem Wunsch auszuüben. Der Organist ließ sich nicht lange bitten und spielte auf der Orgel ein Lied, wobei er ständig die Register wechselte und manch einer mag sich gewundert haben, welche Vielfalt an Klängen in diesem großartigen Instrument steckt.  

Wanderstrecke von Matorf nach Bad Salzuflen  

Windrad-Park im Lipperland  Besichtigung der Kirche von Bergkirchen
Ankunft in Bad Salzuflen Fachwerkhäuser in Bad Salzuflen

Die Uhren gehen wohl im Lipperland etwas anders, denn die „halbe Stunde, dann sind wir da“ dehnte sich ziemlich aus. Schließlich war man doch im Zentrum des Kurorts angekommen, wo sich die andere Gruppe bereits erfrischt hatte, sei es bei Kuchen und Kaffee oder vor den Salinen sitzend. Nachdem sich auch die Neuankömmlinge im Salinencafé gestärkt hatten, waren alle wieder bereit zu der Interessanten Führung durch die Altstadt. Auch hier findet man prächtige Häuser und kunstvoll verzierte Fachwerkbauten, die aus den vielen Jahren ihres Bestehens Geschichten erzählen könnten.

„Was, heute Abend tanzen? Nach diesem Tag? Ich bin viel zu müde“ war allgemein zu hören, und doch …. nach dem Abendessen sah es anders aus. Ein großer Saal im Hotel stand nach anfänglichen Schwierigkeiten zur Verfügung, aus dem mitgebrachten Kassettenrekorder erklangen flotte Melodien und Ursula Wörnle ließ „die Puppen tanzen“. Ein großer Kreis wurde gebildet und los ging`s. Da einige Männer das Mitmachen trotz guten Zuredens verweigerten, wurden kurzerhand Frauen zu Männern bestimmt, was immer wieder zu Verwechslungen führte, nicht nur beim Schritte zählen – „bin ich jetzt Mann oder Frau“? Unter viel Gelächter lernte man Tanzschritte, die zwar einfach nachvollziehbar schienen, aber beim Wiederholen doch für ein Durcheinander sorgten.

Da kam ganz gelegen, dass am folgenden Tag die Fahrt nach Hameln anstand, so konnte man während der etwa 40 Kilometer langen Strecke noch ein bisschen einnicken. Hameln – die Altstadt sucht Ihresgleichen mit dieser Fülle von Renaissancegebäuden und Fachwerkhäusern, mit Legenden wie die Geschichte von der Päpstin und vor allem natürlich vom Rattenfänger. Und schon kam er um die Ecke, tänzelnd, Flöte spielend, mit wippender Feder auf dem Hut und buntem Gewand. Allerdings zogen weder Ratten noch Kinder hinter ihm her, sondern amüsierte Touristen. 

Hohe Tanzkunst auf YouTube

Rattenfänger und Schwaben Altstadt von Hameln
Fachwerkhäuser in Hameln wohlverdiente Rast auf Schloss Schaumburg

Mit dem „normalen“ Stadtführer lernte man beim Gang durch die Fußgängerzone  Rattenfängerhaus, Stiftsherrenhaus, Apothekerhaus, Hochzeitshaus, den modernen Brunnen mit seiner Symbolik, und noch weitere bedeutende Bauten kennen. Man erfuhr, dass in der kleinen Gasse, die am Rattenfängerhaus vorbeiführt, seit dem Tag des Verschwindens der Kinder keine Musik erklingen darf, was es mit dem Hochzeitshaus auf sich hat und was sich manche Bauherren bei der Ausschmückung ihrer Häuser gedacht haben. Nachdem sich der Stadtführer verabschiedet hatte, blieb noch kurze Zeit, um auf eigene Faust Hameln zu erkunden. Ein magischer Anziehungspunkt war für einige ein kleines Café, das sie schon beim Rundgang entdeckt hatten und dessen nostalgischer Charme entzückte. „Geht`s schnell? – wir sind sehr in Eile“ und schon standen Kaffeetassen und Kuchen auf dem Tisch;  im Laufschritt ging es dann zurück zum Treffpunkt.

Von weitem konnte man den Weserdurchbruch erkennen, die Porta Westfalica, wo sich die Weser zwischen Wiehengebirge und Weserbergland in grauer Vorzeit ihren Weg gesucht hat. Auf der Höhe erhebt sich das Denkmal Kaiser Wilhelms I., von seinem Enkel Wilhelm II. in Auftrag gegeben.

Einmal sich als Schlossherr fühlen – und wenn`s nur im Hof auf Holzbänken sitzend der Fall ist! Einer Serpentinenstraße folgend erreichte man Schloss Schaumburg, wo unter Linden ganz bürgerlich das mitgebrachte Lunchpaket verzehrt wurde. Noch eine kurze Fahrt, dann verließ der harte Kern den Bus und wanderte auf die Höhe des Wiehengebirges. Mit dem Rest der Gruppe wollte man sich beim Hotel Wittekindsburg zur Kaffeepause wieder treffen.

Wittekind, auch Widukind, rebellierte als Führer der Sachsen gegen Karl den Großen, wobei ein angebliches Wunder einmal mehr eine Legende entstehen ließ.

Von der Freiterrasse des Hotels aus hatte man einen herrlichen Blick über die Landschaft, aber bald ertönte das Signal zum Aufbruch, man wollte Kaiser Wilhelm doch auch aus der Nähe betrachten. Also machten sich die Wanderer auf durch den herbstlich anmutenden Wald und standen bald vor dem riesigen Denkmal. Nach gebührender Bewunderung und dem obligatorischen Gruppenfoto – „näher zusammen – mich ansehen – und laaachen“ - nahm der Bus wieder Kurs auf Lemgo.

Ein letztes Mal stiegen am Morgen die beiden einheimischen Wanderführer in den Bus. Nach einem Spaziergang durch Detmold ließen sich die Reisenden zum Hermannsdenkmal fahren. Jeder bekam seine Eintrittskarte, aber nicht jedem war es vergönnt, sie zu entwerten, um den Zugang zu Hermanns Innerem zu erlangen. Aber Albvereinler wissen sich zu helfen: sie stiegen über die Sperre oder drückten ein bißchen am Drehkreuz des Ausgangs und es war geschafft. Ob`s das Drehkreuz überlebt hat??

Blick vom Kaiser Wilhelm-Denkmal Schloss in Detmold
Hermanns-Denkmal Externsteine

Wie dem auch sei, allen schmeckte das anschließende Vesper und ein Obstler aus Lemgo half beim Nachspülen. Die Stimmen waren geölt, Liederblätter wurden verteilt, die Umstehenden staunten (vielleicht summten sie auch mit), als das freche Lied von Hermann und Quintilius Varus gesungen wurde. Der Beifall hätte zwar kräftiger sein können, aber Hermann hat sich sicher trotzdem gefreut!

Dann war aber Schluss mit lustig – jetzt stand eine anstrengende Wanderung zu den Externsteinen an. Trinken, Jacken ausziehen, Schweißtropfen abwischen, in unregelmäßiger Reihenfolge blieben die Ausflügler stehen, um kleinste Pausen einzulegen, denn es ging scheinbar endlos bergauf und die Sonne brannte vom Himmel. Den aufmunternden Worten der Wanderführer, es sei ja nicht mehr weit, wollte niemand mehr so recht glauben. Endlich, nach gefühlten 25 Kilometern, – es waren natürlich weniger – ragten plötzlich die gewaltigen Externsteine vor den Wanderern auf. Trotz ihrer Müdigkeit kletterten viele auf den steinernen Stufen nach oben, um die Aussicht zu genießen. Aber als erstes suchte man das Lokal auf, um mit irgendeiner Flüssigkeit den Durst zu löschen. Die Externsteine sind eine Gruppe von 30 – 40 Meter hohen Sandsteinfelsen, in einem der Felsen kann man eine uralte Felsenkapelle besuchen, wo sich auch ein Felsrelief der Kreuzabnahme Christi befindet. Ein See und ein großer Park vervollständigen das pittoreske Bild, das vor noch nicht allzu langer Zeit von einer Stadtbahn durchzogen wurde.

Sonntagmorgen und Aufbruchstimmung: Vor der Heimfahrt war noch eine Stadtbesichtigung geplant. In Warburg meinte man in den engen Gassen die schönsten Fachwerkhäuser zu sehen. Zusammen mit Kirch- und Wehrtürmen bildeten sie ein tolles Ensemble. Auch hier hätte man gerne länger verweilt, aber Gemmrigheim lag noch in weiter Ferne und so hieß es Abschied nehmen von einer wunderschönen Gegend.

In kurzer Zeit hatten die Albvereinler jeden Tag durch die Planung von Ursula und Hans Wörnle etwas Neues, Aufregendes erlebt, das lange im Gedächtnis bleiben wird und vielleicht zu eigenem Erkunden angeregt hat. Großer Beifall und ein herzliches Dankeschön zeigte ihnen, wie begeistert die Teilnehmer von dieser Reise waren.

Abschied vom Hotel an der Ilse/Matorf  Heimfahrt - letzte Rast Warburg